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Mitteilungsheft 1/99

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WILDE MEERSCHWEINCHEN

- einige Bemerkungen zur Systematik und Namensgebung -

von Klaus Rudioff, Berlin

Bis zur Tierbestandsmeldung für das Jahr 1997 war die Welt noch in Ordnung bezüglich der Artbestimmung der wilden Meerschweinchen. Da tauchten plötzlich Zwergmeerschweinchen (Microcavia australis) auf. Auf der Frühjahrstagung im Aquazoo Düsseldorf wechselten auch einige Tiere ihren Besitzer. Die angebotenen Meerschweinchen waren kleiner (Jungtiere ?) und hellbraun gefärbt. Auch die längliche Kopfform, etwas größere Ohren und das Verhalten unterschieden sie deutlich von den anderen drei wohlbekannten Arten (Felsenmeerschweinhen, Wildmeerschweinchen und Wieselmeerschweinchen).

Wir waren glücklich, endlich auch die vierte Gattung der wilden Meerschweinchen pflegen zu können, bis einem unserer Mitstreiter einfiel, daß er diese Tierform schon unter dem Namen Wieselmeerschweinchen in einem Zoologischen Institut gesehen hat. Nun war guter Rat in diesem Fall zwar nicht teuer, aber es dauerte eine Weile, bis ein verendetes "Zwergwiesel­meerschweinchen" an Herrn Dr. Rainer Hutterer geschickt werden konnte. Er bestimmte dieses Exemplar als Gafea musteloides mit bis dato unbekannter Unterartzugehörigkeit. Daraufhin wurde dieses helle Wieselmeerschweinchen unter anderem auch in Anlehnung an die Falschbestimmung Kleines Wiesel meerschweinchen genannt und so auch in dieBestandslisten aufgenommen. Die schon gut bekannte, längere Zeit gezüchtete graue und größere Art wurde nach Form und Farbe als Graues (Großes) Wieselmeerschweinchen bezeichnet. Für eine sichere wissenschaftliche Artbestimmung ist das bisher eingesandte Material vom Grauen Wieselmeerschweinchen nicht ausreichend. Dr. Hutterer vermutet bei der grauen Form, daß es sich möglicherweise um Ga/ea spixii handeln könne. Da ihm aber kein OriginalVergleichsmaterial zur Verfügung stand, sollte diese Variante nur als Wieselmeerschweinchen (Ga/ea spec., das ist sicher) und zur besseren Unterscheidung vom hellbraunen Neuling doch Graues Wieselmeerschweinchen heißen. Damit wäre auf jeden Fall in unserer Arbeitsgruppe eine korrekte Zuordnung der gehaltenen Formen möglich. Nach Ansicht von Dr. Hutterer und Dr. Kock ist die Meerschweinchensystematik noch nicht völlig geklärt. Es wäre sehr wünschenswert, die Herkunft der verschiedenen Zuchtstämme zu erfahren. Leider halten sich sowohl Institute als auch Privatpersonen mit ihren Kenntnissen sehr zurück.

Zur besseren Übersicht soll noch auf die bisher geläufige Systematik der wilden Merrschweinchen eingegangen werden. Leider gibt es im deutsch- und englischsprachigen Raum nur wenige ausführliche und neuere Untersuchungen. Die bisher umfassendste Arbeit legt Folkhart Hückinghaus in der "Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie" vor (HÜCKINGHAUS 1961). Er unterscheidet dabei in seiner Zusammenfassung folgende Gattungen und Arten:

Cavia -
Wildmeerschweinchen: Cavia aperea. Cavia fulgida. Cavia stotida

Das Hausmeerschweinchen wurde von ihm eindeutig als Hausform von Cavia apera bestimmt und wird nach den Bohlkeschen Gesichtpunkten (BOHLKEN 1958, 1961) als Cav/a aperea f. porcettus bezeichnet.

Galea -
Wieselmeerschweinchen: Galea musteloides. Galea spixii. Galea wetlsi

Microcavia -
Zwergmeerschweinchen Microcavia australis. Microcsvia niata. Microcavia shiotoni

Kerodon -
Felsenmeerschweinchen Kerodon ruoestris

Die im Moment innerhalb der BAG gehaltenen Meerschweinchen werden in nachstehender Übersicht kurz vorgestellt (vgl. Farbtafel).

Fetsenmeerschweinchen und Wildmeerschweinchen ähneln sich in Größe (20 - 40 cm KRL) und Gewicht (500 - 1500g), andererseits auch Wieselmeerschweinchen (15 - 25 cm KRL, 300 - 600g Gewicht) und Zwerg meerschweinchen (20 - 22 cm KRL t 200 - 500 g Gewicht)

1. Felsenmeerschweinchen oder Moko, Kerodon rupestns (Wied, 1820)

Abb.1. Felsenmeerschweinchen, Moko, Rocky Cavy (Kerodon rupestris).
Foto: Klaus Rudloff, 25.III.1994 im Zoo Berlin

Heimat: Lichte Trockenwälder und Dombuschgebiete Ost-Brasiliens. Kräftigstes Meerschweinchen (900 -1000 g) mit relativ langen Hinterbeinen. HECK (1925) beschreibt es als absoluten Spring- und Ausbruchskünstler.

2. Aperea-Wildmeerschweinchen, Cavia aperea Erxleben, 1777

Abb.2. Wildmeerschweinchen, Wild Cavy, (Cavia aperea)).
Foto: Klaus Rudloff, 21.II.1992 im Zoo Berlin

Heimat: sehr weit in Südamerika verbreitet. Grasland, Sümpfe und feuchte Wälder in Zentral-Ekuador, Süd-Surinam, Ost- und Süd-Brasilien, Paraguay, Uruguay, Nord-Argentinien. Relativ große Tiere und dunkelbraun gefärbt.

Möglicherweise handelt es sich bei den bei uns gehaltenen Tieren um die Unterart Cav/a apera tschudii Fitzinger, 1857. Diese Unterart ist bei NOWAK (1991) als Art aufgeführt und abgebildet. Die Langhaarigkeit des auf Seite 911 abgebildeten Exemplars ähnelt dem Erscheinungsbild unserer Wildmeerschweinchen. Klarheit kann nur eine eingehende Schädeiuntersuchung bringen.

3. Hellbraunes Wieselmeerschweinchen, Galea musteloides ssp. Meyen, 1832

Abb.3. Hellbraunes (Kleines) Wieselmeerschweinchen, Buffy Cuis, (Galea
musteloides
). Foto: Klaus Rudloff, 15.VIII.1998 bei Roger Künkel, Berlin

Wurde als Zwergmeerschweinchen Anfang 1998 in die BAG eingeführt. Heimat: Süd-Peru, Bolivien, Argentinien, bewohnt Grasland, Buschgebiete, Savannen, Waldgebiete, Dorngebüsch in Berggebieten, Hochebenen und Kulturlandschaften.

4. Graues Wieselmeerschweinchen, Galea spec.

Abb.4. Graues (Großes) Wieselmeerschweinchen, Grey Cuis (Galea spec., vielleicht
Galea Spixii). Foto: Klaus Rudloff, 20.VII.1991 im Zoo Berlin

Diese Art wurde bisher als Galea musteloides bezeichnet. Es könnte möglicherweise Galea
musteloides littoralis (Thomas,1901) oder Ga/ea spixii (Wagler, 1831) sein, das in Brasilien,
Ost-Bolivien und Paraguay lebt. Bewohnt ähnliche Lebensgebiete wie Galea musteloides, bevorzugt aber trockenere Gegenden. Für die Unterart littoralis spricht, daß HÜCKINGHAUS (1961) das Fell als grober und grauer als bei den übrigen Unterarten von Galea musteloides beschreibt.

CORBET & HILL (1991) erwähnen ca. 14 Arten. Dabei wird die Gattung Cavla in 7 Arten untergliedert. Interessant dabei ist, daß Cav/a tschudii als mögliche Stammart des Hausmeerschweinchens bezeichnet wird. Cavia tschudii (Heimat Ekuador bis Nord-Argentinien) wird bei HÜCKINGHAUS (1961) als Unterart von Cav/a aperea geführt. Es wäre also auch hier angebracht, die Aperea-Meerschweinchen untersuchen zu lassen, zu welcher Unterart sie gehören.

Ähnliche Aufstellungen finden wir auch bei NOWAK (1991) und WILSON & REEDER (1993). Während bei den Gattungen Galea, Microcavia und Kerodon große Eintracht bei der Artanzahl herrscht, scheinen bei der Gattung Cavia, den eigentlichen Wildmeerschweinchen, die Ansichten doch weit auseinander zu gehen. Aus den Tiergärten und Zoologischen Instituten liegen einige Berichte vor (8LASZKIEWITZ 1994, HECK 1925, KLOS 1984), die sich aber nicht mit speziell mit Systematik und Taxonomie beschäftigen, sondern der Lebensweise und Haltung Raum lassen. Aus dem Freileben berichtet KOCH (1978). Natürlich sind in Grzimeks Tierleben (HEINEMANN 1979) und Grzimeks Enzyklopädie Säugetiere (STAHNKE & HENDRICHS 1988) generelle Zusammmenstetlungen zur Systematik, Biologie und Haltung zu finden. Eine Bestimmung der Meerschweinchen ist aber nach den dortigen Abbildungen und Beschreibungen nur bedingt möglich. Bei der Zusammenstellung der Tierliste fiel auf, daß zwei Einrichtungen alle vier Formen halten. Einmal der Zoologische Garten Berlin, der seine Haltungstradition fortsetzt und ein kleiner Tiergarten in Schönebeck bei Magdeburg. In beiden Tiergärten sind BAG-Mitglieder verantwortlich tätig (Heiner Klos und Matthias Willberg). Solche Möglichkeiten des Vergleichs von vier Meerschweinchenarten gibt es nur selten und sollten auch für ent­sprechende Beobachtungen und Veröffentlichungen genutzt werden. Zum Schluß möchte ich alle Halter von wilden Meerschweinchen, speziell die Halter der beiden Wiesel meerschweinchenforme n aufrufen, tote Tiere an Herrn Dr. Kock oder Herrn Dr. Hutterer zu senden, damit wir eines Tages Klarheit über die bei uns gehaltenen Meerschweinchenarten bekommen.

Beiden vorgenannten Herren möchte ich an dieser Stelle herzlichen Dank sagen für die Mühen bei der Artbestimmung und die Vermittlung schwer zugänglicher Literatur.

Schrifttum:

BLASZKIEWITZ.B. (1994): Einiges zur Haltung und Zucht Meerschweinchenartiger (Cavioidea) im Zoologischen Garten

Bongo 23, 75-00.

BOHLKEN.H, (1958): Zur Nomenklatur der Haustiere. Zoologischer Anzeiger 160,167-166.

BOHLKEN.H. (1961): Haustiere und zoolog. Systematik. Zeitschrift für Tterzüchtung und Züchtungsbiologie 76,107-113 CORBET.G.B. & HILL.J.E. (1991): A World List of Mammalian Species. Third edition. Oxford University Press New Yorl HECK,LUDWIG (1925): Nagetiere. Brehms Tteneben, Bd.11., 4.Aufl., Säugetiere Bd.2. Bibliographisches Institut Leipzig HEINEMANN,D. (1979): Überfamilie Meerschweinchenartige.

In Grzimeks Tierteben Bd. XI. Saugetiere 2, 428-441. Deutscher Taschenbuch Verlag München. HÜCKINGHAUS.F. (1961): Vergleichende Untersuchungen über die Formenmannigfaltigkeit der Unterfamilie Caviinae

MURRAY 1886 (Ergebnisse der Südamerikaexpedition HERRE/RÖHRS 1956-1957).

Sonderdruck aus "Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie" 166 (112) 1 -98. HÜCKINGHAUS.F. (1961): Zur Nomenklatur und Abstammung des Hausmeerechweinchens.

Zeitschrift für Saugetierkunde 26,108-111. KLÖS.H. (1984): Untersuchungen zur Entwicklung des sozialen Verhaltens bei jungen Wieselmeerschweinchen (Galea musteloides, MEYEN1833). Bietefeld Juli 1984 KOCH,K.D. (1978): Erfahrungen beim Fang und in der Pflege von Wildmeerschweinchen.

Zeitschrift des Kölner Zoo 21 (3), 71-74. NOWAK,R.M. (1991): Walker's Mammals of the World. Fifth edition.

The Johns Hopktns University Press Baltimore & London.

STAHNKEA & HENDRICHS,H. (1988): Meerschweinchenartige. In Grzimeks Enzylopadie Saugetiere. Bd III. Münchei WILSON,D.E. & REEDER,DAM (1993): Mammal Species of the World. A Taxonomic and Geographic Reference.

Second edition. Smithsonian Institution Press Washington & London.

Klaus Rudioff, Tierpark Berlin, Am Tierpark 125, D-10307 Berlin

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